My desk is my castle?! Die Entwicklung des Bürowesens und ihr Ausdruck in der Architektur (Juliane Moldrzyk)
Einleitung
Bürogebäude sind einer der repräsentativsten Gebäudetypen des 20. Jahrhunderts
und fast jeder namhafte Architekt hat im Laufe seiner Tätigkeit eines
entworfen. Jeder von uns hat schon einmal ein mehr oder weniger modernes
Bürogebäude von außen betrachtet, vielleicht auch das Innere kennengelernt.
Bürobauten stehen überall. Es ist nicht schwer, in einer fremden Stadt ein
Bürogebäude von anderen Bauformen zu unterscheiden. Aber war das schon
immer so? Und inwieweit bestimmte das Äußere die Innenräume oder die
Funktionsabläufe die Architektur? Welche Einflüsse und Entwicklungen haben ihre Wirkung auf die Architektur ausgeübt?
Die Entstehung der Büro- und Verwaltungswelt, wie wir sie heute kennen,
wurde bestimmt von Erkenntnissen und Widersprüchen, mit denen sowohl
Vorreiter als auch Mitzügler ihrer Zeit zu kämpfen hatten. Das Produzieren
und Verwalten von Listen, Karteien, Schriftstücken und Zahlenkolonnen bedurfte
großer Raumumfänge, jedoch keiner Fabrikhallen mehr. Es wurde hart
gearbeitet und doch wenig Dreck gemacht. Die „Arbeitskleidung“ wurde eher
vornehm als praktisch. Mit der Zeit stieg die Eigenverantwortung des Einzelnen,
dennoch war für ein Funktionieren der Abläufe die Zusammenarbeit und
das Ineinandergreifen von Arbeitsvorgängen nötig.
Das Selbstverständnis dieser Arbeitswelt ist geprägt durch subjektive und
objektive Spannungsfelder, die uns zum Teil auch heute noch beeinflussen.
Kommunikation als menschliches Urbedürfnis soll sich auf Arbeitsinhalte
beschränken. Die Kollegen, mit denen man fast mehr Zeit verbringt als mit
Familie und Freunden, sind nicht frei gewählt, sondern vorgegeben, ebenso
wie die Räume und das Gebäude, in denen gearbeitet wird. Sie sind geplant
und gebaut von Architekten und Unternehmern in Abhängigkeit von deren
eigenen Interessen, Möglichkeiten und Visionen. Die kleine Arbeitswelt ist
oft genug Abbild der großen Gesellschaft. So beschränkt sich die Handlungsmacht
oft auf wenige, wichtige Entscheidungsträger. Inzwischen zielen
moderne Tendenzen auf mehr Flexibilität, zufriedene Mitarbeiter, größere Mitbestimmung und Freiheiten.
Der Zeitraum, mit dem sich diese Arbeit beschäftigt, beschränkt sich allerdings
auf die Zeit von ca. 1830, als die ersten speziellen Bürobauten entstanden,
bis zum Ende der 1960er, als sich die Idee vom Großraumbüro zu differenzieren
begann. Spätestens von diesem Zeitpunkt an ist die
architektonische Entwicklung bestens dokumentiert und das öffentliche Interesse
an Arbeitsbedingungen und -organisation stark angestiegen.
Für den gewählten Zeitraum sind geographisch gesehen vor allem die USA
und die europäischen Länder Großbritannien und Deutschland von Interesse,
da hier die meisten Entwicklungen ihren Ursprung oder Ausdruck gefunden
haben und sich entsprechend gut belegen lassen. Das schließt nicht aus, daß
auch in anderen Ländern und Gebieten der Erde bemerkenswerte Bürogebäude entstanden sind. Diese mit einzubeziehen, hätte jedoch den Rahmen dieser
Arbeit gesprengt.
Der inhaltliche Aufbau der vorliegenden Betrachtung über die Entwicklung
des Bürowesens und ihrem Ausdruck in der Architektur beginnt mit der Erläuterung
einzelner Einflußfaktoren, die sowohl markante Daten und Ereignisse
als auch längere Entwicklungen beinhalten. Der zweite Teil stellt in
chronologischer Folge eine Übersicht ausgewählter Büro- und Verwaltungsgebäude
vor, an denen die zuvor beschriebenen Kriterien in unterschiedlicher
Form nachvollziehbar sind.
Vorwort
In dem kleinen Buch über die Entstehung des Designklassikers „Das USM
Haller Möbelbausystem“ fiel mir die Bemerkung auf, daß beim Entwurfsprozeß
in den 60er Jahren der Gedanke eine Rolle spielte, vom Chef bis zum
kleinen Angestellten jeden mit demselben Büromöbelsystem ausstatten zu
wollen.(1) Die Arbeitswelt stand am Anfang ihrer Demokratisierung. Da sich
das Unternehmen zuvor vom gleichen Entwerfer, dem Architekten Fritz Haller,
sein Fabrikations- und Verwaltungsgebäude hatte bauen lassen, fragte ich
mich, ob sich dieses Denken auch in der Architektur von Bürogebäuden wiedergespiegelt haben mochte. Und welche Einflußfaktoren spielten noch eine
Rolle? Seit wann gibt es eigentlich spezielle Bürogebäude und wie drückt
sich ihre Nutzung im Äußeren und Inneren aus? Wer oder was gab ihnen ihren Ausdruck?
Weitere Quellen verstärkten meine Neugier: „Die Geschichte von Bürobauten reicht inzwischen über 150 Jahre weit zurück,
allerdings beschäftigen sich nur wenige Wörterbücher, Enzyklopädien oder Handbücher ausführlich mit diesem Thema.“ (2) „Die Geschichte des Büros kennt wenige Momente der Reflexion. Es gibt von Frank Lloyd Wright bis Herman Hertzberger bestenfalls ein Dutzend bedeutender Bürogebäude.“ (3) „An einer Geschichte des Bürogebäudes als Ausdruck sich verändernder Büroorganisation und deren sozialer und wirtschaftlicher Entstehungsgründe hat sich kaum jemand versucht.“ (4) „Die frühen Formen des ‚Bureauwesens’ einmal außer acht gelassen, hat das zivile, private Büro eine knapp hundertjährige Geschichte hinter sich und geht so zeitlich in etwa einher mit dem, was die Moderne genannt wird. ... In hundert Jahren ist es nicht gelungen, dem Büro überhaupt eine eigene, geschweige denn eine angemessene Ausdrucksform zu geben. ... Das Büro hat keine eigenständige Sprache gefunden, sondern lediglich einen uniformierten Bürostil, dessen überkommene Arbeitsform und Atmosphäre sich fatalerweise in Architektur und Design spiegeln und verdoppeln.“ (5)
Die Grenze zwischen dem Büro als Gebäude oder Gebäudeanlage und als den Aktivitäten eines Unternehmens ist kaum eindeutig zu ziehen. Daraus ergeben sich Schwierigkeiten bei der Geschichtsschreibung des Bürogebäudes. Die Bücher und Beiträge der Fachliteratur konzentrieren sich meist auf einzelne Aspekte wie Architektenpersönlichkeiten, baukonstruktive Fortschritte oder enge zeitliche Ausschnitte. Das Problem besteht in der Vielfalt von Einflußfaktoren, die wiederum meist eigenen wissenschaftlichen Disziplinen entstammen, und der Tatsache, daß sich die Einflußgrößen selten eindeutig bestimmen lassen.
Ein anderes spannendes Thema ergäbe sich aus der Frage nach der Zukunft des Büros. Diese zu beantworten haben sich schon viele bemüht. Die Beurteilungen beruhen größtenteils auf Vermutungen und Erwartungen, die eher als Visionen bezeichnet werden können. Mein Schwerpunkt war jedoch die Recherche, um die Aspekte der bisherigen Entwicklung zu erkennen.
Diese Arbeit entspringt meinem eigenen Interesse an den oben genannten Zusammenhängen. Nicht Ausführlichkeit und Vollständigkeit standen dabei
für mich im Vordergrund, sondern der Versuch, sich einen ersten Einblick und kleinen Überblick zu verschaffen und diesen an architektonischen Beispielen zu verdeutlichen.
1 nach: Klemp, Klaus; Das USM Haller Möbelbausystem, S. 13
2 Zitat: Bédarida, Marc; Bürogebäude, S. 4
3 Zitat: Vegesack, Alexander v. [Hrsg.]; Citizen Office: Ideen und Notizen zu einer neuen Bürowelt, S. 9
4 Zitat: Duffy, Francis; The changing workplace, S. 129
5 Zitat: Vegesack, Alexander v. [Hrsg.]; Citizen Office: Ideen und Notizen zu einer neuen Bürowelt, S. 27
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Juliane Moldrzyk
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